Kapitel 4 – Schwimmende Bildkörper und Contemporary Art Award
Saturday, September 6th, 2008 | Allgemein
4. /5. September 2008
Guangzhou empfängt einen wie ein feuchtwarmer Waschlappen, alles fühlt sich klamm an und die Hitze bekommt eine ganz neue Qualität. Dafür wedeln die Palmen bei 35 Grad in der dicken Luft.
Innerhalb einer Stunde finde ich vom brandneuen internationalen Flughafen zur Insel Shamian, auf der die Jugendherberge liegt. „Insel“ bedeutet in diesem Fall, dass Shamian rundum von einem Arm des Perlflusses umgeben ist. Die Nachbarufer sind jedoch nur einen Steinwurf entfernt und es sieht daher eher aus wie eine Sandbank mit Wassergraben drumherum. Die Juhe ist ziemlich sauber, auch wenn mich am ersten Morgen eine auf dem Rücken liegende, einbeinige Kakerlake im Bad begrüßt. Das heisst, sie grüßte erst, als ich das totgeglaubte Tier beherzt entsorgen wollte. Für eine Invalide zischte sie dann Paralympia verdächtig schnell in die nächste Ritze davon…
Ich nutze den ereignislosen Ankunftsabend, um meinen Eindruck vom Vorabend beim Empfang des Chinese Contemporary Art Awards in Shanghai nachzutragen. Durch Zufall hatte ich noch rechtzeitig davon erfahren und mich gegen 18 Uhr zum Bund begeben, Shanghais 1. Adresse in Sachen Promenade und alte Kolonialbauten.
Der Wandel in Pudong, dem Neubaugebiet auf der vorgelagerten Sandbank, das man hier betrachten kann, ist erstaunlich. Als ich vor 4 Jahren zuletzt hier war, stand gerade mal die Hälfte der Wolkenkratzer. Einige davon sind nun zu postmodernen Bildkörpern geworden und flimmernde Werbefilmchen tätowieren ihre silbrig spiegelnde Außenhaut. Vor dem Kai kreuzen ebenfalls mobile Leinwände und sorgen für ein permanentes Spektakel.
Im Haus Bund Nr. 18 befindet sich im 4. Stock der Empfang zum CCAA in einer mittelgroßen Bar. Elegante Kellner begrüßen einen mit einem Weinglas, an dem ich mich dann fast eine Stunde lang festhalten muss, bis sich genügend durchgestylte Gäste eingefunden haben, so dass mit einer kurzen Ansage der Preis als vergeben verkündet wird. Ich selbst bin mit meinem durchgeschwitzten T-Shirt und Touristenrucksack nicht gerade passend angezogen und kann nur staunen, was da alles zusammen kommt: Model mäßig gekleidete Chinesinnen, langbeinige Ausländerinnen, Botschaftspersonal und Geschäftleute scheinen neben einigen Galeristen und weniger aufgemachten Künstlern hier das Publikum zu stellen.
Mir gelingt es schließlich kurz Uli Sigg, den Stifter des Preises und eminenten Sammler dieser Kunst sowie ehemaligen schweizer Botschafter in China, anzusprechen und ihm wenigstens meine Visitenkarte zu überreichen. Für ein Interview hat er natürlich keine Zeit – 12 Stunden später sei er schon in Amerika – aber man könne das wohl mal in der Schweiz machen, wo er eigentlich zuhause ist.
Schließlich spricht dann der diesjährige Organisator der Shanghai Biennale, der zuvor Direktor der Art Basel war. Sein Augenmerk liegt voll und ganz auf dem asiatischen Kunstmarkt, für den es endlich eine breite lokale Basis zu schaffen gelte.
Über die Preisträger Ai Weiwei, Liu Wei und einen taiwanesischen Künstler, sagt er dagegen nichts. Es sind ohnehin alles alte Hasen und auf Lobeshymnen steht hier wohl keiner. Von jedem ist eine Arbeit ausgestellt, die mir allerdings wenig preisverdächtig vorkommen. Ai Weiwei hat im Treppenhaus eine Stockwerk übergreifende Installation aus lauter Shanghaier Fahrradrahmen Marke „Forever“ aufgebaut, Liu Wei eine geschlossene Anlage mit Schaltpult, das man drückt, ohne zu wissen, was dann passiert. Das einzige sichtbare Ergebnis ist, dass einige rote und grüne Kontrolllampen auf der anderen, dem Schaltpult nicht einsichtigen Seite aufleuchten. Ansonsten gibt der raumfüllende Klotz mit Lüftungslamellen und der Aufschrift „Liu Weis Property“ nur Rätsel auf.
Von… gibt es eine Doppelprojektion zu sehen, die recht schlicht eine Fensteransicht links und rechts eine Nahansicht auf den Vorhang davor wiedergeben. Offensichtlich handelt es sich rechts um die Füße der Person, die man links in Großaufnahme zwischen Vorhang und Fenster stehend als Schatten erahnen kann. Stimmungsvoll in schwarzweiß war dies so ungefähr das ruhigste, was mir bislang hier begegnet ist. Auch deshalb, weil kaum einer der feiernden Gäste sich die Zeit nahm, diese Werke anzuschauen und man hier ganz ungestört Luft holen konnte.
Wenn das ein Großteil der Shanghaier Kunstszene ist, wie zu befürchten steht, dann ist sie jedenfalls nicht wirklich groß und tatsächlich sehr durch internationales Publikum geprägt. Man kann die hier arrivierten Künstler vielleicht um ihre Berührung zum globalen Jetset beneiden. Andererseits drängt sich mir beim Abschiedsblick auf das nächtliche Shanghaier Ufer unten die Frage auf, ob da hinter dem Bildgeflimmer und der schimmernden Oberfläche wirklich mehr zu finden ist…