Kapitel 3 – Tempel, Tee und Krötenwünsche
Saturday, September 6th, 2008 | Allgemein
Mittwoch, 3. September 2008
Heute stand als Erstes das ordnungsgemäße Anmelden auf der nächsten Polizeistation an. Sie war leicht zu finden und ich konnte die Polizistin einigermaßen gut verstehen. Aber Beamte scheinen auch hier nicht gerade von der schnellen Sorte. Die Kollegin schwätze pausenlos auf meine Sachbearbeiterin ein – dies allerdings im härtesten Shanghai-Dialekt, so dass ich trotz Ohrenspitzen gar nichts verstand – und es brauchte eine geschlagene halbe Stunde, bis sie das eine Papier (zur Sicherheit drei Mal!) Korrektur gelesen und mit ihrem Bildschirm abgeglichen hatte. Außerdem musste ich zwei Mal meine Gastgeberin bei der Arbeit anrufen, damit auch ja alle Angaben überprüft wurden (obwohl sie Jianglings Namen und Adresse natürlich in den Akten vorliegen hatten). Sodann wurde ich mehrfach eindringlich auf meine 30-Tage-Verlängerungsfrist hingewiesen und darauf, dass ich mich selbstverständlich überall, wo ich mich länger als einen Tag aufhalte, jeweils neu bei der nächstliegenden Behörde melden müsse. Ich hoffe im Stillen, dass dafür in Zukunft die Jugendherbergen sorgen werden, ansonsten drohen mir noch weitere Stunden mit den netten Beamtinnen…
Ich entschied mich dann gegen einen zweiten Besuch im gestrigen Galerienbezirk, den ich nächste Woche ohnehin wiedersehen werde und für einen Besuch des Jadebuddhatempels.
Mit 20 Yuan Eintritt und 10 Yuan Extra Buddhaguckgebühr eine echte Touristenfalle – zum Vergleich: eine Nudelsuppe in einem normalen Restaurant kostet derzeit 12 Yuan.
Es liefen zwar einige curryfarben gewandete Mönche herum und die Vor- und Haupthalle verfügen über eindrücklich große, frisch vergoldete Buddhastatuen samt Jüngerschaar und einer Art Figurenpantheon im Hintergrund, die eigentliche Attraktion wirkt dagegen eher nüchtern.
Dieser offensichtlich von südasiatischen Stilmerkmalen gezeichnete, sitzende Jadekoloss ist etwa 2-3 Meter hoch und residiert in einer extra Innenhalle im 1. Stock. Das etwas muffige Teppichambiente, das ihn umhüllt, und das gähnende Besucherdesinteresse (vermutlich preisbedingt) samt Fotoverbot lassen Touristen nicht gerade lange dort verweilen.
Der Blick aus dem Fenster ist dagegen wirklich interessant: Inzwischen ist der Tempelbau fast von allen Seiten durch die immergleichen Wohntürme umringt und den traditionell gehaltenen Dachfirst-Drachenfiguren bleibt nur ein hilfloses Fauchen im Schatten dieser Konkurrenten.
Religiöse Praxis läuft hier übrigens recht pragmatisch auf kurzes Verbeugen und Knien vor den Statuen hinaus, meist begleitet von Münzeinwürfen (vermutlich geht es vor allem um Wohlstands- und Gesundheitswünsche) und dem Entzünden von einem Bündel von Räucherstäbchen. Die Fotos, die diverse Weltprominenz zu Besuch beim hiesigen Abt zeigt (auch amerikanische Präsidenten waren da), beweisen jedoch, dass zumindest an den wichtigsten buddhistischen Feiertagen große Massen in den Tempel drängen.
Die offensichtlich daraufhin ausgelegte „Halle mit den 1000 Buddhas“ hat bei meinem Besuch jedoch eher den Charme einer goldverzierten Mehrzweckhalle, woran die denkwürdig weltlich-nationale Beflaggung mit jeweils paarweise aufgehängten China- und Olympia-Fahnen nicht unschuldig ist.
Ziemlich geschafft lande ich schließlich auf dem People’s Square und gehe tatsächlich ins „Starbucks“ – ich muss wirklich geschafft gewesen sein! Es ist geradezu demütigend, wie ich plötzlich heimatliche Gefühle für Dinge entwickle, die mir in Stuttgart als zutiefst amerikanisch und als verwerfliches Kettenmarketing vorkamen. Und genauso entlarvend ist es, sich dann unter den Langnasen dort drin so unwohl zu fühlen, dass ich mich schließlich auf der unklimatisierten und daher heißen Terrasse mit lauter rauchenden Chinesen niederlasse. Ich glaube, ich werde noch eine Weile so mit meiner Tourirolle hadern müssen…
Eine Ecke weiter sprechen mich dann zwei zuckersüße Shandonger Englischstudentinnen an. Zuerst das übliche Gefrage, wo ich herkomme. Dann nach einem chinesischen Wort „Deutschland“ schon das Lob, wie umwerfend mein Chinesisch sei. Ich: Woran sie das nach einem Wort erkennen könnten? Sie: An der Aussprache…
Die beiden lassen sich aber nicht abschütteln und der Starbuckskomplex sitzt mir noch so im Nacken, dass ich mich schließlich von ihnen überreden lasse, gemeinsam eine Teeverkostung zu besuchen, anstatt in das ohnehin kurz vor Feierabend stehende Stadtplanungsmuseum zu gehen.
Ob das ein Fehler war, weiß ich bis jetzt noch nicht. Wie es sich herausstellt, ist die Verkostung in einem winzigen Geschäft im zweiten Stock einer Shopping-Mall mit lauter unterschiedlich tapezierten Räumchen, die jeweils mit einer Art Wurzelholztisch und drei Baumstümpfen drumherum gleich mal alle Zeichen auf „Tradition“ stellen. Eine adrett im Qipao-Stil seitlich hochgeknöpfte Angestellte legt uns die Preisliste vor und ich falle aus allen Wolken: Ohne mit der Wimper zu zucken, wollen die beiden Semsterferienbienchen tatsächlich pro Nase 200 Yuan für eine Verkostungsreihe ausgeben!
Im wahrsten Sinne des Wortes zwischen den beiden eingeklemmt und unter den aufmunternden Augen des Gründers der mehrere Jahrhunderte alten Teekultur (oder waren es mal wieder Jahrtausende), der uns dekorativ von einem Rollbild herunter anlächelt, gebe ich mich geschlagen. Was dann folgte war schon eine sehenswerte Performance. Die Teezeremonienmeisterin machte quasi aus nichts (5 chinesische Teesorten gehobenerer Qualität, darunter aber auch ein aromatisierter Litschi-Schwarztee und ein pinker Früchtetee) eine kurzweilige Stunde und ein sehr gutes Geschäft. Vielleicht habe ich die Tonkröte, über die der erste Aufguss rituell weggegossen wird, an der falschen Stelle gestreichelt. Der Rücken sollte Glück bringen und die extra ausgeformten Warzen Geld…
Die beiden Studentinnen genossen es jedenfalls, ihr etwas offiziöses Chinesisch mit allerlei Erklärungen, für welche Körperfunktion was gut sei, mir jeweils herunterzubrechen und mich ganz nebenbei über meinen deutschen Lebensstil auszufragen.
Am größten war das Interesse für die „biaojun“ meines „Boyfriends“ (ein Wort das ich bisher nur als „Standard“, „Qualität“ kannte, was aber offensichtlich auch soviel wie „Charaktereigenschaften“ heißen kann) und die Aussicht, wenn es nur ginge, selbst nach Deutschland zu kommen und sich dort einen zu angeln.
Mit der Frage, ob ich da zwei professionelle Touri-Anglerinnen auf den Leim gegangen bin, werde ich jetzt einschlafen. Bei 26 um 2 Uhr nachts und nicht leiser werdendem Stadtgegrummel…
P.S. Morgen bis zum 7. September fliege ich nach Guangzhou, um dort in den Triennalerummel einzutauchen.