Kapitel 1- Die Gärten von Shanghai
Saturday, September 6th, 2008 | Allgemein
Sonntag, 31. August/ Montag 1. September 2008
Es sind runtergetretene Fersenriemchen von hochglänzenden Damenschuhen an einer chinesischen Reisende im Frankfurter Flughafen, die mir ein Lächeln und die Einsicht entlocken: Ich nähere mich tatsächlich dem Reich der Mitte!
Spätestens im Shuttlebus von Shanghai Pudong Airport, der mich in das süd-westliche Viertel Da Pu Qiao Lu, die ehemalige französische Konzession, transportiert, wird dieses kribbelnde Gefühl dann zur Gewissheit. Menschenmengen, ein Hochhausmeer von postmoderner Stilmischung, allgemeine Lautstärke, Staub und dazwischen die Grillen, die wie Zahnarztbohrer klingen, nehmen meine Sinne in Beschlag. Dann die Schwierigkeit bei dichtem und rücksichtslosem Verkehr die Straße zu queren, um einem Taxifahrer auf chinesisch die richtige Adresse zu nennen und schließlich das Staunen vor den zwei zehn Jahre alten Wolkenkratzern „Shanghai Garden“, wo ich die ersten vier Tage bei Freunden unterkommen kann.
Vom 19. Stockwerk der Dreizimmerwohnung aus, sehen die Grünstreifen noch schmäler, die gestapelten Wohnungen noch zahlreicher und uniformer und der Himmel etwas näher, aber genauso grau aus.
Meine Gastgeberin Jiangling, eine in Shanghai gebürtige Geschäftsfrau, hat mir mit einem Telefonanruf fluchs mein Flugticket für Donnerstag nach Guangzhou bestellt und nur 1,5 Stunden später bringt es ein Motorradbote bis vor die Wohnungstür – so einfach geht das! Zum Glück musste ich es nicht selbst bestellen. Jianglings für mich kaum verständlichen Dialekt noch im Ohr, den die Servicehotline offensichtlich gut verstand, frage ich mich, wieviel die von meinem Mandarin, geschweige denn Englisch verstehen würden…
Der Gang zum Supermarkt zwei Blogs und eine Großbaustelle (für eine neue U-Bahn-Haltestelle) weiter, eröffnet den Blick auf das große Konsumwunderland: Von noch lebendig vor sich hinzüngelnden Schlangen und Bergen aus unabgepackten, aber gefrorenen Hühnchenschenkeln zum selbst Raussuchen in der Auslage bis hin zum etwas westlichen Körnerbrot ist alles zu haben und natürlich für ein Zehntel unserer Preise.
Zuhause dann der Blick ins chinesische Fernsehen, das vor allem koreanische Soaps zu senden scheint, inzwischen alle synchronisiert und mit taiwanesischen Untertiteln zum Mitlesen. Zwischendrin unglaublich viel Werbung für Hautaufheller und eine Art Korsage, die Kinder in eine gerade Haltung zwingt.
Den bedauernswerten Familienalleinernährern von morgen scheint nichts erspart zu bleiben. Bei der allerorts herrschenden Geschwindigkeit, zähem Fleiß und Optimismus ist hier allerdings mit Händen zu greifen, dass diese Kinder tatsächlich einen Großteil des künftigen Weltgeschehens bestimmen werden. Ob wir in Deutschland auf hohem Niveau jammern, dass sie unsere Arbeitsplätze wegrationalisieren helfen, ist diesen Kindern – mit oder ohne Stützgurt – zurecht egal. Derzeit scheinen wir wegen Merkels Dalai Lama Freundlichkeit leider ohnehin nicht angesagt, zumindest ließ Jiangling das durchblicken.
Dennoch sind die meisten Chinesen, die mir begegnen, ungemein hilfsbereit. Als ich einen der drei Hochhausmeister, die den Eingang überwachen, nach dem Weg zur U-Bahn fragte, wäre er beinahe mit mir hingelaufen und der Weg war nicht gerade kurz! Der Kellner beim ersten chinesischen Abendessen kam gleich dreimal vorbei und nahm immer neue Anläufe, mir auf Englisch Fragen zu stellen. Unter anderem natürlich, wie ich China fände.