Kapitel 9 – Shanghai Contemporary Art Fair zu Lande und zu Wasser

Wednesday, September 10th, 2008 | Allgemein

Yang Fudong "East of Que Village" Ausschnitt, ShanghArt Galerie

Yang Fudong "East of Que Village" ShanghArt Galerie Ausschnitt aus Videoinstallation

Landschaftfotographie und Blütenfotoausschnitt in "Insomnia" BizArt-Space
Landschaftsfotographie und Blütenfotoausschnitt in “Insomnia”  BizArt-Space
Zhang Enli, gemalter Duschraum in ShanghArt Galerie
Zhang Enli, gemalter Duschraum in ShanghArt Galerie
Zhang Enli, gemalte Hausfassade in ShanghArt Galerie
Zhang Enli, gemalte Hausfassade in ShanghArt Galerie
Seifenblasen mit Chinakitschfiguren, "Chinadorm" Eastlink Gallery
Seifenblasen mit Chinakitschfiguren, “Chinadorm” Eastlink Gallery
Installation mit Goldfischen im untersten Ring, "Chinadorm" Eastlink Gallery
Installation mit Goldfischen im untersten Ring, Ausstellung “Chinadorm” Eastlink Gallery
Zhang Qing Ausschnitt aus seiner Videoinstallation mit WG-Fußball
Zhang Qing Ausschnitt aus seiner Videoinstallation mit WG-Fußball
Eingang zum russisch angehauchten Messegebäude
Eingang zum russisch angehauchten Messegebäude
Shanghai Contemporary Art Fair, Blick in die Ausstellungshalle
Shanghai Contemporary Art Fair, Blick in die Ausstellungshalle
Chinesische Kitschkunst in der Shanghai Messehalle für "besondere Entdeckungen"
Chinesische Kitschkunst in der Shanghai Messehalle für “besonder Entdeckungen”
Chinesische Version von "Eva und Adele" an einem Messestand mit Pappexponat
Chinesische Version von “Eva und Adele” an einem Messestand mit Pappe-Exponat
Galerist Schulz vor dem zensierten Maoporträt
Galerist Schulz vor dem zensierten Maoporträt
Messestand der Galerie Schulz (Berlin, Beijing, Seoul), ein "global Player"
Messestand der Galerie Schulz (Berlin, Beijing, Seoul), ein
Claire (ist Kuratorin in residence am in Shenzhen) und Marianne Brouwer (Kuratorin von "Another Long March" in Breda, NL)
Claire (ist Kuratorin in residence in Shenzhen) und Marianne Brouwer (Kuratorin von “Another Long March” in Breda, NL)
Künstlerbaby an Board (weiblich)
Künstlerbaby an Bord (weiblich)
Birgit an Bord
Birgit an Bord
Ausblick auf Nachbarboot auf dem Huangpu Fluss bei After-Opening-Party
Ausblick auf Nachbarboot auf dem Huangpu Fluss bei After-Opening-Party

9. September 2008

Diesen Vormittag habe ich wieder in der

Bildkörper Begenung auf der Shanghai Contemporary Art Fair

Bildkörper Begenung auf der Shanghai Contemporary Art Fair

Moganshan Lu zugebracht, wo ich auf Birgit und Sabine wartete, die dank eines befreundeten Hoteliers weiter weg in Pudong untergekommen sind. Inzwischen haben hier drei sehenswerte Ausstellungen eröffnet und ziehen einiges Biennale-Publikum an.

ShanghArt zeigt den weltweit für seine sehr ästhetischen schwarz-weiß gedrehten, zumeist lyrischen Kunstfilme bekannten Shanghaier Künstler Yang Fudong. Auf Videoinstallation mit sechs großen Leindwänden sieht man in seiner Arbeit „East of Que Village“ das sehr beschwerliche Überleben von wilden, reudigen und zumeist verletzten Hunden, die um ein nord-chinesisches Dorf herum leben.

Während sie verzweifelt weggeschmissene Kuhköpfe auf den Schädel hinunter abnagen, sieht man vermummte Dorfbewohner in der flachen, harschen Landschaft und von Staubwolken umfegt irgendeiner landwirtschaftlichen Arbeit nachgehen. Zwischendrin wird mit etwas Musik ein kleiner Umzug veranstaltet und einige Böller abgebrannt. Bis auf das traurige Jaulen der Hunde und das Topfgeklapper hört man in der ganzen, eher dokumentarisch distanzierten Arbeit kein gesprochenes Wort. Angeblich blickt Yang mit dieser Arbeit auf die kargen Jahre seiner Kindheit Anfang der 70er Jahre zurück.

Weniger bedrückend, aber auch von einer gewissen Poetik des Alltäglichen getragen zeigt ShanghArt dazu noch die Malerei von Zhang Enli, einem Künstler der zuvor eher grellere, aggressivere Gesellschaftsporträts (ein wenig wie Otto Dix) malte und jetzt zu bemerkenswert toniger Palette mit transparentem Farbauftrag gefunden hat. Damit inszeniert er banale Alltagsgegenstände wie Betten, eine Duschkabine, eine Häuserfront, den Deckel eines Lautsprechers oder Eimeransichten. Durch einen gekonnt leichten Duktus und interessante, meist unfertig wirkende Komposition gewinnt er diesen Dingen und Ansichten jedoch etwas ab, dass sie auf eine schlichte Art sehr attraktiv werden lässt. Es kommt mir vor, als würde er die Stille Seite des chinesischen Alltags beleuchten und gefällt mir daher außerordentlich gut.

Das alternative Kunst- und Projektzentrum „BizArt“ hat eine vielfältige Fotoausstellung zusammengestellt mit dem Titel „Insomnia“. Unter den durchweg professionell und ansprechend gemachten Arbeiten häufig jüngerer Künstler, gefallen mir nur ein paar wenige besonders gut. Unter anderem eine unaufgeregte Nebeneinanderstellung von einem Foto, auf dem eine dramatische Wolke über einer buschig schwarzen Hügelkrone festgehalten wurde und einem ganz kleinen Fotoausschnitt, der einen blühenden Obstbaum zeigt. Darin meine ich etwas von den Landschaftsgefühlen wiederzufinden, die in der traditionellen Tuschemalerei so wichtig ist.

Die Eastlink Gallery hat sich mit „Chinadorm“ nicht wirklich mit Ruhm bekleckert. Jedenfalls kommt diese Ausstellung wohl an Brisanz keinesfalls an den Skandalerfolg von „Fuck Off“ zur Shanghai Biennale 2000 heran. Auch wenn in einer Installation von einer Art überdimesnioniertem Kronleuchter lebendige Goldfische in kleinen Glasschüsseln nach Luft schnappen (Künstler: Lin Jing) und in einer Videoprojektion die Geschichte des Künstlers als bösem Schuljungen erzählt wird, der auf dem Gang in Papiertüten machte, statt auf die Stockwerkstoilette zu gehen (Künstler: Yao Zi).

Kurzweilig ist allerdings eine mehrteilige Bildschirminstallation von Zhang Qing, der von oben jeweils ein Zimmer einer ganz kleinen Studentenwohnung filmt, in der aber ein ausgewachsenes Fussballspiel mit jeweils 3 Spielern und einem Schiedsrichter ausgetragen wird. Im Verlauf wechseln die Spieler durch alle Zimmer und damit durch alle Bildschirme. Sie geben ihr bestes, ohne Rücksicht auf Mobiliar und personelle Verluste.

Nachmittags öffnet dann die Shanghai Contemporary Art Fair ihre Tore in einem im russischen sozialistischen Stil gebauten Messegebäude. Dank Sabine und Birgit gehe ich als VIP durch und staune nicht schlecht über die sehr großzügig angelegten Stände der weltweit eingeflogenen, teilweise sehr hochkarätigen Galerienprominenz. Dennoch wirkt es so, als haben gerade die international einschlägigen Galerienschwergewichte sich bei ihren chinesischen Vorzeigekünstlern nicht wirklich Mühe gegeben. Sie folgen ganz überwiegend den Kriterien „groß, gemalt, figürlich, bunt-poppig“. Man darf eben nicht vergessen, dass es hier ums Verkaufen geht und vielleicht auch schon ein bisschen um asiatische Kunden, die meist nicht wirklich an avantgardistisch-gewagter Installationskunst etc. Interessiert sind. Der Berliner Galerist Schulz stellt sich Brigit gegenüber als ganz zurfrieden mit dem Käuferpotenzial dar und nimmt es gelassen, dass eine riesige dreiteilige Leinwandmalerei mit Maos Konterfei auf der einen Seite, genau an dieser Stelle zensiert werden musste. Das Überkleben des Porträts, das nicht einmal sehr despektierlich gemalt scheint, sondern genauso unter dem bewusst verkleckert, bespritzten Gestus leidet, wie alle anderen Bildmotive auch, wirkt irgendwie skurril. Vermutlich wirkt es auf manche Kunden eher noch wie ein Beweis für die kritische Authentizität dieses Künstlers. Merkwürdig ist nur, dass im Jahr zuvor solche Bilder problemlos gezeigt werden konnten. Aber das könnte mit dem olympischen Reinheitszwang und der im Gegensatz zu Beijing angeblich besonders konservativen Haltung der Behörden zusammenhängen.

Im Vergleich zu Guangzhou, zur Shanghaier Biennale oder gar der Art Basel wirkt das Sammelsurium auf der Messe ziemlich flach und enttäuschend. Ich bin fast ein bisschen erleichtert, dass ich keinen Drang verspüre, noch mehr Zeit hiermit zu verbringen. Stattdessen plane ich die morgen lieber für zwei weitere Museen in der Stadt ein. Nützlich war der Besuch allemal, immerhin konnte ich Näheres über einen Film herausfinden, der während der „Fuck Off“ Ausstellung gedreht wurde. Zwar will mir dieses Dokument niemand geben (es gehört einem Künstler), aber es wird im nächsten März in England auf einer Ausstellung gezeigt. Damit gibt es immerhin die Chance, es einmal zu Gesicht zu bekommen.

Die Marktnähe der Messe hat natürlich auch Vorteile: Abends legt ein von der Beijinger Filiale der amerikanischen Galerie „Pace“ gechartertes Aussichtsboot vom Bund ab. Wir sind an Bord und genießen (neben einem ziemlich schlechten Buffet der Bootsküche) den unschlagbaren Nachtblick auf beide Uferseiten zwischen Bund und Pudong und auf die Kleidung der Kunstprominenz.

Während wir am zukünftigen Expo 2010 Gelände und seinen Baukränen vorbeigleiten, erklingt überraschend guter chinesischer Rock aus den Lautsprechern (der Sänger wird mir sogar durch die befreundete Sabine kurz persönlich vorgestellt) und Zheng Shengtian (ehemaliger Professor der Hangzhouer Akademie und Editor des kritischen Übersee Kunstmagazins „Yishu“) erzählt, dass er in seiner Shanghaier Kindheit noch Fähren besteigen musste um die damals total leere Sandbank Pudong und einen von dort aus mit dem Bus erreichbaren, etwas schäbigen Strand zu erreichen.

Er hat übrigens kurz zuvor in New York in den Asia Society Galleries eine Ausstellung zur chinesischen Kunst in den 50er bis 70er Jahren eröffnet. Obwohl die offiziellen Museen trotz intensiver Verhandlungen keine ihrer guten Stücke nach Amerika verleihen wollten, scheint die Ausstellung dennoch gut bestückt und ein voller Erfolg. Unter anderem ist eine rare Fieberglaskopie des „Rent Collection Courtyards“ von Künstlern der Sichuan-Akademie zu sehen – ein riesiges Skulpturenwerk im Sinne der antifeudalistischen Propaganda. Es soll im nächsten Jahr tatsächlich auf der Frankfurter Buchmesse zu sehen sein, nachdem in den 80er Jahren der schweizer Kurator Harald Szeemann noch vergeblich versuchte, diese vielteilige Figurengruppe nach Europa zu bekommen!

Nach einem letzten Glas Orangensaft auf der Dachterrasse des Museum of Contemporary Art (MOCA) im Volkspark mit Blick auf die beleuchtete futuristische Skyline hat dann auch dieser lange Tag einen Panoramaabschluss gefunden und das Hostelbett kam mir noch nie so bequem vor wie heute.

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