Kapitel 8 – “Translocalmotion”: von B wie Biennale über bewunderswert bis banal

Wednesday, September 10th, 2008 | Allgemein

Installation mit Zuckersteinen und Grenzübergangfilmen Shanghai Biennale

Installation mit Zuckersteinen und Grenzübergangfilmen Shanghai Biennale

Videostill von Yong Ah-nam zum Thema Migration und globalen Nomadentum
Videostill von Yong Ah-nam zum Thema Migration und globalen Nomadentum
Dinosaurierzug von Yue Minjun einem chinesischen Starkünstler
Dinosaurierzug von Yue Minjun einem chinesischen Starkünstler
Translocalmotion etwas plump veranschaulicht im EG der Sh Biennale
Translocalmotion etwas plump veranschaulicht im EG der Sh Biennale
Wenn die Dinge genau danach aussehen, was sie sind: Sch...design
Wenn die Dinge genau danach aussehen, was sie sind: Sch…design
Abendhimmel Skyline Shanghai
Abendhimmel Skyline Shanghai

8. September 2008

Den heutigen Vormittag nutze ich, um allein ins „Shanghai Urban Planning Museum“ zu gehen. Es tut mir zwar ein bisschen leid, dass ich dass Kunstmuseum gegenüber, das Chinas wohl bekanntestes Museum für traditionelle Kunst ist, keines Besuchs würdige, aber dort war ich bei meinem letzten Besuch schon. Außerdem steht mir der Sinn weniger nach Bronzekesseln, antiken Keramiken und Kalligraphien als vielmehr nach Stadtentwicklung.

Wie sich dann herausstellt ist nur im Umgang auf dem 1. Stock etwas historisches Fotomaterial ausgestellt, das die Stadt aus dem Blick der ersten Kolonialherren und früher chinesischer Fotografen zeigt. Lustigerweise sind die Fotos so missverständlich untertitelt, dass der Eindruck entsteht man könne hier „Shanghai Soundso Tempel im Jahr 220 nach Christus“ etc. bestaunen! Tatsächlich haben die Chinesen mal ausnahmsweise nicht schon damals die Fotographie erfunden und die abgebildeten Gebäude mögen zwar älteren Ursprungs sein, haben aber vermutlich schon viele Totalrekonstruktionen erlebt.

Im nächsten Stockwerk ist dann ein raumfüllendes, begehbares Innenstadtmodell aufgebaut, das die chaotische Stadtplanung deutlich macht. Unzählige, recht phantasielose Wohnblocks wechseln sich mit Office-Towern und den Skylinern ab.

Der eigentliche Hauptteil des Museums beschäftigt sich dann ausschließlich mit der Expo 2010 „Better City, better Life“ und ihren Nebenwirkungen. Dabei ist die bunte, laut und verschieden beschallte Ausstellungsarchiketur weniger didaktisch als vielmehr eine großangelegte mediale Werbeveranstaltung, bei der kritische Töne völlig fehlen und der Inhalt bisweilen untergeht. Zunächst werden internationale Wettbewerbsmodelle für das Expogelände gezeigt, das einen kompletten Flussabschnitt auf beiden Seiten der Stadt umfasst. Nur ein paar Flussmeilen vom Bund entfernt wird so an der Erweiterung des Panoramas heftig gearbeitet.

Interessanterweise scheinen drei Bewerber (eine amerikanisch oder englische Firma, ein chinesischer Vorschlag und noch einen, an den ich mich nicht mehr erinnern kann) das Rennen gemacht und dann in einen alles vermischenden Endendwurf überführt worden zu sein. Das zeugt von der hiesigen typischen Pragmatik.

Der deutsche Beitrag war übrigens sehr quadratisch angelegt und einer der wenigen, die darauf verzichteten das Gelände mit weiteren künstlichen Kanälen zu umfassen und von oben gesehen in einer symbolischen Form (meistens ein Kreis) anzulegen.

Anscheinend stehen auch schon einige Pavillionarchitekturen und Signalgebäude fest. Unter anderem wird es eine ufoartige Expohalle in Flussnähe, einen total überdimensionierten roten „Pavillion“ in offener Holzbalken- bzw. traditioneller Torästhetik geben und sehr viele verschiedene durchgeknallte Länderpavillions.

Um die große Fläche zu bebauen, mussten sicher wieder Wohnsiedlungen abgerissen und sehr viel Boden umgepflügt werden. Davon sieht man aber in der Ausstellung nichts. Stattdessen wird diffus vom „grünen“, „environmental“ Schwerpunkt geredet. Jedenfalls ist klar, dass hier keine Zeit für postolympische Depression ist und die Planungen für das nächste Spektakel schon in vollem Gange.

Unter „Spektakel“ ließe sich vielleicht auch ganz gut die Einlassbeschränkungen am VIP-Tag der Shanghai Biennale mit dem Titel „Translocalmotion“ beschreiben. Birgit und Co. waren dank flinker Zungen und Presseausweis auch ohne Einladung hineingekommen. Ich wollte schon umkehren, als ich die tapfere Café-Bedienstete wahrnahm, die direkt neben dem Eingang dafür warb, dass trotz offiziell noch geschlossenem Museum natürlich das Restaurant im 5. Stock für alle geöffnet habe. Durch die clevere Behauptung, ich wolle nur ins Café, kam ich tatsächlich ganz problemlos durch die Kontrollen bis in den Lift und stieg dann unbeobachtet im 2. Stock gleich wieder aus: Schon war ich mitten drin im Getümmel, in dem – einmal dort – niemand mehr nach irgendeinem Nachweis fragte.

Im Vergleich mit Guangzhou kommt mir hier alles sehr viel gesetzter, geschleckter und etwas „brav“ vor. Auch wenn im 2. Stock zum Thema Migration und Grenzen sehr viele gute, internationale Arbeiten zu sehen sind, frage ich mich schon, ob das Thema selbst nicht auch schon oft kuratiert wurde und thematisch ein wenig zu eng gefasst ist. Auch wenn viele der Installationen und Videoprojektionen ästhetisch wie inhaltlich sehr aufwendig und überzeugend gemacht sind, handelt es sich überwiegend um bekannte Künstler und somit um eine „sichere Sache“. Gerade die Arbeiten der eingeladenen chinesischen Künstler tendieren dabei häufig mehr zu Oberflächlichkeit, schön anzuschauendem Großformat oder schon dagewesener, jetzt aber nochmal hochpolierterer Masche.

Im Gegensatz zu Guangzhou sind es daher hier eher nicht-chinesische Künstler, die mir positiv auffallen. Unter anderem eine Filminstallation von Farouki (Name sicher falsch geschrieben…), die das moderne Arbeitsleben thematisiert. Dann ein Raum, der verschiedene Frachthäfen und Schiffe sowie inländische Grenzen in Projektionen thematisiert und aus Zucker gepresste Backsteine in der Mitte zeigt (eine niederländische Kunstgruppe, glaube ich) und eine gefilmte Arbeit, die den Versuch der Überquerung einer russischen Grenze ohne Visum mit lauter absurden Begegenungen und Gesprächen wiedergibt.

Nach dem Besuch finde ich mich einmal mehr mit Birgit und Sabine zusammen in zwei weiteren kleinen Galerien am Bund wieder. Während die erste mit Michael Lin, eine ernstzunehmende und gut kuratierte zeitgenössische Position aus Taiwan zeigt, erfasst uns bei der letzten Galerie das Grauen über so viel schlechtes, neureiches „Design“. Die hier ausgestellten Möbel sind alle ganz haarscharf vorbei an der guten Idee und gelungenen Umsetzung und rauschen mit vollen Segeln in den Ausverkauf von guten Ansätzen und die Konjunktur des schlechten, kitschigen und unreflektierten Geschmacks.

Nur ein sehr leckeres Abendessen mit gefüllten Teigtaschen, die im Bambuskorb gedämpft wurden, konnte uns danach noch mit dem Biennalehype versöhnen.

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