Kapitel 6 – Abschied vom Postkolonialismus, Triennale im Aufbruch

Wednesday, September 10th, 2008 | Allgemein

Sabine und Birgit in Frühstückslaune auf Shamian

Sabine und Birgit in Frühstückslaune auf Shamian

Unverkäufliches Kleinkind auf Ladentisch in Guangzhou
Unverkäufliches Kleinkind auf Ladentisch in Guangzhou
3. Guangzhou Triennale Pressekonferenz im Time-Museum
3. Guangzhou Triennale Pressekonferenz im Time-MuseumUnverkäufliches Kind auf Ladentisch in Guangzhou
Lautsprecher und Trommel-Installation des Künstlerprojekts "New in coming", bei dem auch ein dtsch. Künstler nach Qinghai ging, um vor Ort zu arbeiten
Lautsprecher und Trommel-Installation des Künstlerprojekts “New in coming” das Künstler nach Qinghai (westl. Minderheiten-Region in China) brachte
"Time Museum", 19. Stockwerk, RundfensterSchlechtes Architekturdetail im "Time Museum", dem 2. Triennale Ort, verbessert durch Birgit
Oben gutes, unten schlechtes Architekturdetail im Time-Museum, verbessert durch Birgit, zweiter Triennale- Ausstellungsort
Eingangsinstallation im Guangdong Museum mit Museumswärter davor
Eingangsinstallation im Guangdong Museum mit Museumswärter davor
Treppenkunst auf der Triennale mit Text aus einer Rede aus einer Weltreligionenkonferenz
Treppenkunst auf der Triennale mit Text aus einer Rede aus einer Weltreligionenkonferenz
Flügel des "Sozialismus-Altars" im Eingangsbereich des Triennalemuseums
Flügel des “Sozialismus-Altars” im Triennalemuseum von chinesischem Künstler
Jankowskis Triennale-Beitrag, Copy-Maler malen ihre Kopien wie sie im chinesischen Kopienmuseum hängen
Jankowskis Triennale-Beitrag, Copy-Maler malen ihre Kopien wie sie im chinesischen Kopienmuseum hängen

6. September 2008

„Farewell to Post-Colonialism“ ist das ehrgeizige Motto der 3. Guangzhou Triennale, die mit einem chinesischen (Gao Shiming) und einem indischen (Sarat Maharaj) Kurator ziemlich global aufgestellt wurde und an zwei Orten stattfindet. Im „Time Museum“ sehr weit außerhalb des Stadtzentrums fand die eröffnende Pressekonferenz statt. Ins 14. und 19. Stockwerk einer großen Hochhauswohnanlage integriert, wurden diese Ausstellungsflächen schon vor drei Jahren als eine ständige, lokale Filiale der Triennale vorgestellt, die von Rem Koolhaas, einem der angesagtesten Architekten weltweit, ausgebaut werden sollte.

Das ganze stellt eine typisch chinesische Kooperation zwischen den Immobilieninvestoren und den Kunstorganisatoren dar. Nur leider waren diese Investoren von Rems Idee, das Museum statt in den umliegenden Garten, direkt in zwei der Stockwerke und damit die Wohnanlage hinein zu planen, nicht wirklich überzeugt. Diese Skeptik scheint sich in einer dreijährigen Untätigkeit seitens der Bauherren zu äußern, so dass Biennalebesucher, die das letzte Mal da waren und die improvisierte Anlage betraten, sich komplett in jene Zeit zurückversetzt fühlen.

Die meisten Arbeiten wurde noch gehängt, die Wandfarbe und Geländerlacke waren noch nicht trocken und das Ganze sah nach einer totalen Baustelle aus. Entsprechend unzufrieden sind einige der Künstler mit den Räumen. Unter anderem hat das Goetheinstitut einige Künstler nach Qinghai (in die typischen tibetischen Minderheit- Provinz) geschickt, um ihre Ergebniss dann anschließend hier zu präsentieren. Viele der Fotoarbeiten wirkten jedoch eher wie eine Porträtserie von Leuten und Landschaft, die fürs “National Geographic” denn für eine Triennale gemacht wurden und kritische Reflexionen fehlten völlig.

Einzig eine große Videoprojektion des chinesischen Künstlers (Name wird nachgetragen ….Jianwei) hat mich sehr beeindruckt: In einer Art Bühnenlandschaft, die an China in den 60er Jahren erinnert, arbeiten, schlafen, essen und versammeln sich viele Menschen in Arbeiterkleidung und agieren in einer Mischung aus Performance und Theaterstück. Die ganze Atmosphäre ist sehr gedrückt, grau und geregelt, es kommt zu Totschlag von einigen offensichtlich unerwünschten „Elementen“, am Schluss gibt es ein Erdbeben, das die Fabrikanlage zusammenstürzen lässt und an die historische Katastrophe erinnert, von der behauptet wird, sie hätte Maos Tod angekündigt. Geräusche und ruhige Kamerafahrten geben dem Werk einen sogartigen Rhythmus.

Die Toleranz des Triennale-Publikums wurde im Time Museum nicht nur durch wenig interessante Werke und den Baustellenzustand auf die Probe gestellt. Da es nur einen einzigen Aufzug und keinen Treppenaufgang gab, mussten die Massen zum Teil eine Stunde wie die Ölsardienen im 14. Stock warten, bevor sie endlich ihren Lift bekamen. Das aus der steigenden Aggression keine Panik wurde und dies sicherheitstechnisch überhaupt erlaubt wurde, ist mir ein Rätsel. Der Treppenabgang war bewusst versperrt worden, um das Kunstpublikum von den normalen Anwohnern getrennt zu halten – Rems Integrationsmodell scheint hier nicht aufgegangen. Übrigens berichtete Brigit, dass vor drei Jahren gleich neben der Pressekonferenz die neuen Wohnanlagen mit einer zeitgleichen Show und dem Slogan vermarktet wurden, man könne hier mit der Kunstszene auf Tuchfühlung gehen…

Mit einem Triennale-Shuttlebus gings schließlich zum „Guangdong Museum of Art“, das auf einer zentralen Insel des Pearlrivers liegt und der zentrale Ort der Ausstellung ist. Birgit und ich waren nur allzu froh, dem Kühltruhengebläse des Busses entkommen zu sein, gegen dessen Folgeerscheinungen wir abends dann heiße Cola mit ganz viel Ingwerstängeln trinken mussten. Das Museum lässt tatsächlich Triennale Stimmung aufkommen und das umso mehr, als es das erste und einzige offizielle Museum Chinas für zeitgenössische Kunst ist, dass sich die Förderung zeitgenössischer Kunst seit 1997 (2002 1. Triennale) auf die Fahnen geschrieben hat.

Die runde Eingangshalle wird vollständig von einem kakifarbenem Zelt in Form einer römischen Kathedrale mit Kuppel (entfernt an den Petersdom erinnernd) eingenommen. Darin findet sich eine zentrale „Altaranlage“, die auf einem hölzernen Flügelretabel in sozialistischem Realismus den Sozialismus verklärt. Davor gibt es eine Art Metallbecken, auf dass ebenfalls sozialistische Architektur und Propagandabilder mit entsprechender Beschallung projeziert werden. Diese interessant ironische und recht bunte Installation von (Name wird nachgetragen) bleibt übrigens eine der wenigen, die sich auf die chinesische politisch-ideologische Ikonographie bezieht.

Dahinter grüßt eine konzeptuelle Arbeit von Christian Jankowski, der in dem berüchtigten chinesischen Malereikopierdorf (Name vergessen) die sehr jungen Kopisten von Werken der westlichen Renaissance bis klassischen Moderne bat, ihre Arbeiten in dem noch nicht ganz fertiggestellten Kopienmuseum zu hängen und das Ganze nochmals abzumalen. Ironischerweise erinnerten mich die Schinken mit ihrer geschickten Reflexion auf den (unfertigen oder Instant-) Ausstellungsraum an die vorher im Time Museum vorgefundenen Umstände.

Eine weitere Installation von (?) blieb mir in Erinnerung: Hinter einer Ballustrade auf dem breiten Treppenabsatz waren zwei Leute damit beschäftigt aus allen möglichen Actionfilmen Momente von gewalttätigem Sterben auszusuchen, dann auszudrucken und an mehreren Wäscheleinen wie in einem Fotolabor oder Pressebüro aufzuhängen.

Ob mit solcherlei Werken tatsächlich der verdienstvolle, aber eben bereits übersättigte Postkolonialismus- Diskurs verabschiedet wird, bleibt abzuwarten. Es scheint jedoch so, als könnte Maharaj mit seiner Behauptung recht behalten, dass gerade Guangzhou (eben nicht London oder Neu-Delhi) ein guter, etwas periphärer, aber sehr dynamischer Ort ist, der deutlich werden lässt, dass gerade chinesische Künstler ohnehin mit anderen, lokalen Diskursen und der Suche nach neuen Strategien beschäftigt sind.

Die Kuratoren haben zum Glück überwiegend die modische grelle, pop-artige und schillernde Malereiwelle Chinas ausgespart. Besonders stark kamen mir daher chinesische Künstler wie … vor, die in anspruchsvollen und mit subtil individueller Bildsprache angereichterten Video(-Installationen) eigenen Themen nachspüren.

Sehr angesprochen hat mich die Arbeit „…(Titel wird nachgetragen)von Qiu Anxiong, der in einer Tusche gezeichneten Animation und einem Tusche gezeichneten Buch den chinesischen Klassiker „Reise zu (Name wird nachgetragen)

Österreichischer Beitrag von "feld 72" thematisieren Kunst und (öffentlichen) Raum; Guangzhou Triennale

Österreichischer Beitrag von "feld 72" thematisiert Kunst und (öffentlicher) Raum

“ aufnahm und mit merkwürdigsten, feinen Phantasiekreaturen verbildlichte.

Natürlich gab es auch weniger Ansprechendes oder Werke von „big names“, die offensichtlich im Triennaleformat angelegt sind, insgesamt scheint diese Triennale jedoch relativ experimentierfreudig und offen.

Andreas Schmid, ein Alumni der Stuttgarter Aka, der in den 80ern schon ein Kunststudium in Hangzhou wagte und Ko-Kurator der „China Avantgarde“- Ausstellung 1993 in Berlin war, hat mit anderen Künstlern im Guangdong Museum das Projekt „Dreams of Art Spaces Collected“ (www.igbk.de) präsentiert. Es handelt sich um den wegweisenden Versuch, alternative Kunsträume/-institutionen rund um den Globus virtuell, aber auch durch Austauschprojekte zu vernetzen.

Mit einem insgesamt ganz positiven Fazit und voller Anregungen haben wir uns mit zahlreichen, überwiegend asiatischen Besuchern schließlich auf den Heimweg gemacht und der beschwerlichen Aufgabe gestellt, bildgesättigt und mit Wunden Füßen, den anderen das rare Taxi wegzuschnappen.

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